Montag, 30. Juni 2008

Leicht dadaistische Werbung

Unter all der Werbung, der man in den Straßen begegnet, machte in den vergangenen Tagen vor allem diese einen großen Eindruck auf mich:

Diese Werbung ist zugunsten der von der protestantischen Kirche getragenen Aktion Brot für die Welt.

Sie beeindruckte mich des sprachlichen Wagemuts wegen, der Berührungspunkte mit der Kunst des Dadaismus aufweist.

Man muß den Text analysieren:

fairgeben ist eine Zusammensetzung von fair (gerecht) und geben, die, wenn man sie laut liest, wie vergeben klingt.

fairsorgen ist eine Zusammensetzung aus fair und sorgen, die, wenn man sie laut liest, wie versorgen klingt.

fairteilen ist eine Zusammensetzung aus fair und teilen, die, wenn man sie laut liest, wie verteilen klingt.

Das heißt: alles ist so etwas wie ein Spiel mit Worten, Sprachen und der Phonetik, und deshalb gefällt mir die Idee. Gleichzeitig fürchte ich, daß solch Werbung alles andere als einen Beitrag zur Alphabetisierung der jungen Deutschen und der Immigranten bildet, die äußerstenfalls noch nicht einmal den Reiz verstehen, der diesem Ausdruck von Werbung eigen ist.

Samstag, 28. Juni 2008

LATIN CAPITAL SHARP S

Die heutige Ausgabe der "Süddeutschen Zeitung" berichtet, daß die graphische Gestaltung eines neuen Buchstabens abgeschlossen ist, des jüngst (auf internationaler Ebene) kreierten Zeichens "LATIN CAPITAL SHARP S", des großgeschriebenen scharfen s.

Es handelt sich um das Zeichen, das noch viel deutscher als die Umlaute ist, nämlich um das ß.

Da dieser Buchstabe nie am Anfang eines Wortes erscheint, gab es ihn bis jetzt nur als Kleinbuchstaben. Obgleich man 100 Jahre bereits oder länger den entsprechenden Großbuchstaben vermißte. Zum Beispiel werden in Personalausweisen und Pässen bis heute noch nur Großbuchstaben benutzt: Wie lassen sich unter diesen Umständen Namen oder Wohnorte von Bürgern drucken, in denen das scharfe s vorkommt?! Oder wie kann man das Wort "Fußball" in Großbuchstaben umsetzen?!

Schließlich wurde auf Antrag des DIN zwischen April und Juni des laufenden Jahres das großgeschriebene scharfe s in die weltweit anerkannte und bindende Zeichen-Kodierung UNICODE aufgenommen: U+1E9E = HTML-dezimal ẞ = HTML-hexadez. ẞ, obgleich noch heute noch nichts davon auf der entsprechenden Seite zu sehen ist.

Wohl gibt es etwas zum Thema auf einer anderen Seite: "Uppercasing U+00DF ( ß ) LATIN SMALL LETTER SHARP S to the new U+1E9E LATIN CAPITAL LETTER SHARP S: ... In particular, capital sharp s is intended for typographical representations of signage and uppercase titles, and other environments where users require the sharp s to be preserved in uppercase. Overall, such usage is rare. In contrast, standard German orthography uses the string "SS" as uppercase mapping for small sharp s..."

Leider läßt die oben erwähnte Pressenotiz weder sehen, wie der neugeborene Buchstaben konkret aussieht, noch läßt sie wissen, welche graphische Werkstatt das Verdienst (und die Ehre) hatte, dessen Gestaltung entworfen zu haben; ich stocherte ein wenig im Internet herum, fand dazu aber nichts.

Kurz nach der Bearbeitung dieser Eintragung hatte ich schließlich Glück und fand in Fontblog die Visualisierung des großgeschriebenen ß, die ich bisher vermißt hatte.

Sonntag, 22. Juni 2008

Kleidertausch

Im Münchner Eine-Welt-Haus gibt es eine wunderbare Veranstaltung: mindestens einmal pro Jahr findet der sogenannte "Kleidertausch" statt, und am heutigen Sonntag war es wieder soweit:

Das ist ein ziemlich spezieller kleiner Markt: es fließt kein Geld! Du bringst die Klamotten, die Du loswerden willst, läßt sie dort ohne etwas dafür zu kassieren, und da sind sie dann, damit sich ihrer der bedient, dem sie gefallen.- Und Du, falls es Dich interessiert, schaust Dich um und nimmst nach Haus mit, was Dir gefällt und was Dir paßt.

Das heißt, daß hierbei die Gesetze des Kapitalismus nicht zählen; und es ist mehr als eine Art Warentausch, weil, auch wenn Du nichts an Kleidung beiträgst, Du Dir trotzdem von den Klamotten nehmen kannst, was Dir gefällt:

Samstag, 21. Juni 2008

Versammlungsgesetz + Abendkonzert

Heute gab's zwei erwähnenswerte Ereignisse: ein weniger erfreuliches, eine Kundgebung gegen das Versammlungsgesetz, das die bayrische Regierung noch vor den Wahlen im September diesesn Jahres dem Land Bayern verpassen will:

und ein anderes entspannenderes, nämlich ein Konzert auf einem kleinen Platz des Viertels, in dem ich wohne, auf dem Sendlinger Kirchplatz:


Ende September dieses Jahres finden in Bayern Wahlen statt, aber nichtsdestotrotz hat sich die Regierung dieses Landes in den Kopf gesetzt (vermutlich mit der Idee, die parlamentarische Mehrheit zu nutzen, die diese Regierung derzeit noch hat und die sie zu verlieren fürchtet), ein Gesetz zu erlassen, das hochrestriktiv ist. Hinter diesem Gesetzes-Projekt steckt eine Föderalismus-Reform, die neben anderen Dingen die Gesetzgebungskompetenz hinsichtlich des Versammlungsrechtes den Bundesländern zuweist.

Ohne an dieser Stelle in Einzelheiten dieses Gesetzes-Projektes eintreten zu können: es ist derart kopflos und extremistisch, daß sich eine außergeöhnlich breite Koalition dagegen bildete: sie vereinigt die Gewerkschaften, die SPD, die Partei der Grünen (Bündnis 90 / Die Grünen) und sogar die FDP, eine Partei, die normalerweise ziemlich allergisch auf (andere) Empfindlichkeiten ihrer jetzigen Partner reagieren.

Dem Aufruf zur heutigen Demonstration folgten außerdem die Partei "Die Linke" sowie andere Gruppierungen des linken politischen Spektrums, von denen sich vor allem die SPD sich stets zu distanzieren versucht.

Unter brennender Sonne versammelten sich die Teilnehmer der Demonstration vor dem DGB-Haus, zum Klang der Musik einer Gruppe, die vor Jahren im Zusammenhang mit einem Streik entstand:

Nach dem, was man in diesem Photo sieht, bildete diese Kundgebung kein Monopol junger Leute, sondern bildete eine Angelenheit auch älterer Leute und aller Altersstufen.

Zuerst sprach Klaus Hahnzog, Richter am Bayrischen Verfassungsgerichtshof:

der, ohne sich juristischer Fachbegriffe zu bedienen, nicht nur das Durcheinander hervorhob, das diesen Gesetzentwurf kennzeichnet, sondern auch dessen entscheidenden Punkte hervorhob, deretwegen er vor dem Bundesverfassungsgericht wohl nicht bestehen könnte.

Anschließend sprach Max Mannheimer, jüdischer Abstammung, den der Faschismus nach Theresienstadt, Auschwitz-Birkenau, Warschau und Dachau verschlug - und der überlebte:

Es ist stets bewegend, persönliche Begegnungen mit derart lange zurückliegenden Epochen zu haben, und mehr noch, wenn man dabei eine Scharfsicht erlebt, die dieser Zeitzeuge erkennen läßt.

Danach der Demonstrationszug mit dem Ziel des CSU-Hauptquartiers, mit beeindruckenden 3000 bis 5000 Teilnehmern, trotz der Hitze und des Fußballfiebers:

Am Ziel erwartete uns eine sehr lebendige Begegnung mit den Vertretern dreier Parteien, die von vornherein nicht sehr gut zueinander passen:

Hier spricht Margarete Bause, Vorsitzende der Fraktion der Grünen im bayrischen Landtag:

Dies ist Sabine Leutheuser-Schnarrenberger, Justizministerin der Bundesrepublik, bis sie im Dezember 1996 eines Gesetzes gegen die Freiheit der Person wegen, das sie nicht zu vertreten vermochte, aus Protest das Handtuch warf.

Und schließlich der Vorsitzender SPD-Landtagsfraktion, Franz Maget, der in den kurz vevorstehenden bayrischen Landtagswahlen der schon Jahrzehnte andauernden Regierungszeit der CSU ein Ende zu bereiten hofft:


Um diesen Sommertag in entspannter Weise zu Ende gehen zu lassen, kam das Konzert Michela Dietl trifft HAMMERLING auf dem Sendlinger Kirchplatz gelegen:

Der zweite Teil dieses Konzertes wurde vom Modern String Quartett getragen:

Ein Hochgenuß bedeutete dieses Konzert, das, wie man den Photographien ansieht, bei nächtlicher Dunkelheit zu Ende ging. Es diente zugleich der Feier des 30. Jahrestages der Sendlinger Kulturschmiede, einer Bürgerinitiative der 70er Jahre, der damals gelang, eine Schnellstraße zu verhindern, die die städtebauliche und soziale Struktur des Münchner Stadtteils Sendling zerschlagen hätte.

Dienstag, 17. Juni 2008

Der Staat zahlt, die Kirche lenkt

Die einzige katholische Universität im deutschsprachigen Raum ist die von Eichstätt, einer in Bayern gelegener Stadt. Die Nachrichten, die es in der Presse dazu gibt, unterscheiden sich, aber man kann daraus ableiten, daß die katholische Kirche nicht mehr als 25 % und der Staat Bayern zumindest 75 % der Kosten dieser Universität zahlt. Aber die, die zu sagen haben, sind die bayrischen Bischöfe, und der, der am meisten zu sagen hat, ist anstatt des bayrischen für die Universitäten zuständigen Ministers Gregor Maria Hanke, der Bischof von Eichstätt.

Bis hier ist alles normal - gut, normal innerhalb der Geschichte von Konkordaten und im Rahmen des Fehlens einer strikten Trennung von Kirche und Staat, wie wir sie vom benachbarten Frankreich kennen.

Aber das Durcheinander begann, als nach der Wahl von Ulrich Hemel, der in seiner Person den Beruf eines Professors für Religionspädagogik mit dem des Unternehmensberaters vereint, das "nihil obstat" vom Vatikan ausblieb. Möglicherweise griff der Papst selbst seiner bayrischen Herkunft wegen in diesem Fall eingriff, aber wahrscheinlicher erscheint mir - immer dem folgend, was man in der Presse lesen kann; denn selbstverständlich läßt sich auf der offiziellen Seite der Universität keine diesbezügliche Information finden - daß es unter den bayrischen Bischöfen oder ihrer Umgebung einen oder mehrere gab, die den Vatikan über den gewählten Präsidenten orientierten: Das dritte Mal verheiratet (nach kirchenrechtlich korrekter Auflösung der ersten Ehe und nur standesamtlich geschlossener zweiter Ehe); laut Kommentaren kirchlichen Kreisen nicht gehorsam und demütig genug; und keinen Hehl aus seiner kritischen Haltung gegenüber dem derzeigigen Papst machend.

Bischof Hanke ging gehorsam vor und verweigerte dem gewählten Präsidenten die Ernennung. Die übrigen Bischöfe unterstützten dabei mehrheitlich den Chef der Diözese Eichstätt; man weiß nicht, ob es einen mit Courage gab, der sich für die Respektierung der Entscheidung einer Universität einsetzte, von der man weiß, daß sie mit einer gewissen Autonomie versehen ist.

Heute informierte die Presse davon, daß Bischof Hanke den Kanzler der Universität abgesetzt hat und ihr eine aus zwei von auswärts kommenden Professoren bestehende Leitung vorgesetzt hat. In Anspielung auf vermeintliche finanzielle Unregelmäßigkeiten kündige er eine Wirtschaftsprüfung an.

Deswegen wuchs das Unbehagen in der Universität noch mehr, sowohl unter den Studenten als auch im Lehrkörper. Und man versteht auch das Warum: Offensichtlich will die Kirche der Universität eine neue Grundordnung verpassen (die derzeit gültige hatte Bischof Hanke vor rund einem Jahr erst genehmigt), und es scheint so, daß der Papst jetzt das Recht beansprucht, ganz direkt in entscheidenden Fragen dieser Universität eingreifen zu können.

Ich werde Euch davon unterrichten, wie dieser Konflikt weitergeht oder welche Lösung, sofern es sie gibt, er hat.

Sonntag, 8. Juni 2008

Der alte israelitische Friedhof

Im Süden von München, schon ziemlich weit draußen, zwischen Kleingärten und einer vielbefahrenen Straße, liegt der alte israelitische Friedhof, d.h. der Friedhof, auf dem die Juden beerdigt wurden. Er wurde 1816 gegründet und 1908 geschlossen (als der neue Friedhof der jüdischen Gemeinde eröffnet wurde, auch ziemlich weit draußen gelegen, aber auf der entgegengesetzten Seite, d.h. im Norden).

Der alte Friedhof ist hermetisch abgeschlossen, nur die Angehörigen der dort ruhenden Menschen können um die Zugangserlaubnis bitten.- Durch die Streben der Tür des Haupteinganges

blickend vermag man einen kleinen Ausschnitt des Friedhofs zu sehen, der freilich das Interesse wachwerden läßt, ihn von innen kennenzulernen:

Ganz selten nur gibt es die Möglichkeit des Zugangs zu diesem Friedhof: Die Volkshochschule bietet Führungen an, und heute bot sich die Gelegenheit, sich einer solchen Führung anzuschließen.

So trat ich mit der Gruppe ein, und der Rundgang, den die Führerin mit uns unternahm, war nicht nur von Erklärungen über die "Architektur" der Grabmäler und der "Kapelle" (ich bin mir nicht sicher, ob die Anwendung dieses Begriff an dieser Stelle angemessen ist) begleitet, sondern auch von einer interessanten Einführung in die Art, in der die jüdische Religion den Tod (und das, was - nach dieser Religion - danach kommt).

Was ich mich wieder einmal frug, war, wie dieser Friedhof den eisernen Willen des deutschen Faschismus zur Vernichtung und Beseitigung der öffentlichen Manifestation des Jüdischen überleben konnte. Vielleicht ist dies der prächtigste jüdische Friedhof, den ich in Deutschland kenne, aber ich habe einige Friedhöfe mehr gesehen, die während der schwärzesten 12 Jahre der Geschichte meines Landes mehr oder minder unbehelligt blieben.

Freitag, 6. Juni 2008

Wir haben ein Gesicht

Heute war ich bei der Eröffnung einer Photoausstellung, die den Titel trägt: "Wir haben ein Gesicht. Wünsche von Senioren an die Jugendlichen". Ich zitiere aus der offiziellen Ankündigung der Ausstellung: "Es werden ältere und alte Personen in hochwertigen schwarz-weißen Photographien dargestellt. Parallel wird ein Text von den photographierten Personen erstellt, der die Wünsche und Hoffnungen an die jüngere Generation thematisiert. Ergänzt wird die Ausstellung durch Informationen über die Entwicklung der Alten- und Service-Zentren sowie über die Bedeutung der Kommunikation im Alter."

Die Photographin ist Frauke Weck, die hier in dem Augenblick zu sehen ist, in dem sie die Anwesenden begrüßt:

Das "Alten- und Service-Zentrum Sendling" beherbergt diese Ausstellung:

Deshalb heißt auch der Leiter dieser Einrichtung diejenigen, die zu dem Ereignis gekommen waren, willkommen:

Der Hauptgrund, der mich zu der Eröffnung dieser Ausstellung gehen ließ, war der, daß unter den älteren Personen, die aufgenommen wurden und deren Photo in die Ausstellung aufgenommen wurde, sich meine Frau und ich befinden. Wenn man genau auf dem ersten Photo (dieses Netztagebucheintrages) hinschaut, sieht man uns beide auf einem der ausgestellten Photos, und hier etwas mehr aus der Nähe:

Klar, daß es bei solch einer Veranstaltung angeregte Diskussionen gibt, in deren Mittelpunkt die Photographin steht:

Andere fuhren fort, die Photographien genauer zu betrachten und wurden dabei davon überrascht, auch den Koffer mit Gips füllenden Künstler zu sehen, von dem ich in diesem Netztagebuch vor 3 Tagen gesprochen habe: den der "weißen Koffer":

Dienstag, 3. Juni 2008

... nach unbekannt abgewandert ...

Wir wissen, daß Tausende und Tausende von vor allem jüdischen Menschen aus Deutschland und Millionen aus ganz Europa in Vernichtungslager abtransportiert wurden. Aber dieses Wissen bleibt abstrakt, sobald nicht ein konkreter und lokaler Bezug zu dieser Lebensvernichtungsstrategie der 12 Jahre lang herrschenden deutschen Faschisten hergestellt wird.

Es gab eine Initiative, diesen lokalenBezug herzustellen: die seit einigen Jahren in deutschen Städten verlegten Stolpersteine ließen wissen, in welchem Haus welche Menschen lebten, die in Vernichtungslager deportiert wurden.

Und erst so erfuhr ich nach Jahrzehnten, daß gegenüber dem Haus, in dem ich groß wurde, in der Braunschweiger Lützowstr. 6, mehrere jüdische Familien gewohnt hatten, an deren Verfolgung und Deportation man heute durch diese Stolpersteine erinnert:

Seltsamerweise gibt es in München bis heute keine Stolpersteine. Die Stadtverwaltung, dem Argument folgend, daß es nicht der Würde der Deportierten entspräche, auf den ihnen gewidmeten Pflastersteinen herumzutrampeln, untersagte diese.

Heute wurde im Münchner Stadtteil Sendling ein neuer Versuch gestartet, der zwischen 1938 und 1942 staatlicherseits begangenen Verbrechen zu gedenken: die Kunstinstallation von Wolfram P. Kastner zur Erinnerung an deportierte und ermordete jüdische Nachbarn in Sendling.

Der Titel, den man dem ganzen Projekt gab, ist: ... nach unbekannt abgewandert ...; das ist eine Anspielung auf die Penibilität und zugleich Zynismus der Bürokraten, die in den Stadtverwaltungen die Einwohnerregister führten: die Akten oder Karteikarten derer, die mit dem Ziel ihres Todes deportiert wurden, schlossen sie mit Vermerken wie "nach unbekannt abgewandert" oder anderen lügnerischen Formeln schlossen.

19 Häuser gab es im Stadtteil, in denen Menschen gezwungen wurden, Ihre Wohnungen zu verlassen und von ihrer Habe zurückzulassen, was nicht in einen einzigen Koffer paßte. Die Kunstinstallation wählte als Ausdrucksform diese Koffer und stellte sie heute als weiße Koffer vor 4 Häusern auf, aus denen die Menschen damals vertrieben wurden:

Ich wohne im Haus "Am Harras 14" - bis heute wußte ich nicht, was vor einigen Jahrzehnten zwei Häuser nebenan geschah.- Vor diesem Haus sieht die Kunstinstallation so aus:

Neben den weißen Koffern werden auf Schrifttafeln die Biographien der ehemaligen Bewohner des Hauses beschrieben. Anhänger an den weißen Koffern nennen die Namen des Bewohners sowie den Ort und Zeitpunkt ihrer Ermordung:

Vor Häusern, aus denen mehr Bewohner verschleppt wurden, stehen entsprechend mehr Koffer:

Die die Installation begleitenden Texte wurden von der Initiative "Historische Lernorte Sendling" erarbeitet; zum Beispiel diese Tafel:

Hier ein Ausschnitt dieser Texttafel, die einen zum Nachdenken über die an dem Schweigen des damaligen Papstes zur Judenvernichtung vorgebrachte Kritik zwingt:

All das wurde heute in einer Veranstaltung der Volkshochschule der Öffentlichkeit vorgestellt. Es sprach Ernst Grube, ein Zeitzeuge, sogar mehr als das: ein Überlebender, denn er ist jüdischer Abstammung. Aus Salzburg waren die drei Mitglieder der The Klezmer Connection gekommen, um nicht nur die Veranstaltung musikalisch zu begleiten, sondern auch den abschließenden Rundgang, auf dem alle 4 Stellen, an denen weiße Koffer plaziert worden waren, besucht wurden:

Vor jedem der 4 Häuser wurde die Biographie der deportierten Bewohner verlesen, jedes Mal eingeleitet und abgeschlossen durch einen Beitrag des Klezmer-Connection-Trios.

Es verdient hervorgehoben zu werden, daß die mit dem Projekt verbundenen Kosten aus städtischen Geldern bestritten wurden.

Montag, 2. Juni 2008

Adresse des Münchner Instituto Cervantes

Warum auch immer: Das Konsulat Spaniens in München gibt auf seiner Internet-Seite als Adresse des Münchner Instituto Cervantes immer noch Marstallplatz 7 an. Diesen Straßennamen versteht man gut, denn wenn man sich aus einigen der Fenster des prächtigen Gebäudes des Instituto Cervantes herauslehnt, sieht man deutlich, was vor langer Zeit die Behausung der Pferde war, die dem bayrischen Hof zur Verfügung standen.

Es scheint so, daß das Konsulat nicht wahrgenommen hat oder nicht wahrnehmen wollte, daß im Jahre 2005 diese Straße in Alfons-Goppel-Str. umbenannt wurde. Diese Umbenennung erfolgte aus Anlaß des 100. Geburtstags von Alfons Goppel, einem Politiker, dem zwar seiner Vergangenheit in der Zeit des Faschismus wegen 1947 der Zugang als Abgeordneter in den bayrischen Landtag verwehrt wurde, der aber trotzdem Ministerpräsident in Bayern von 1962 bis 1978 wurde.

Hier ein Bild der Umbenennungs-Zeremonie; man sieht von vorne den damaligen Chef der bayrischen Regierung (der CSU) und von der Seite den Oberbürgermeister (SPD, in Bayern in der Minderheit, aber in der Hauptstadt Baerns mit Mehrheit):

Während die Stadtspitze offensichtlich wenig Probleme damit hatte, einen langeingeführten und zudem politisch "neutralen" Straßennamen durch den eines Politikers mit einer der faschistischen Epoche Deutschlands sehr eigenen Biographie zu ersetzen, hatte sie viel Eile, einer anderen Straße, der Meiserstr., ihren Nahmen zu nehmen, obgleich diese Straße so in den 50er Jahren benannt worden war.

Hans Meiser war von 1933 bis 1955 (er starb 1956) Bischof der protestantischen Kirche Bayerns. Und er war von einem fieberhaften Antisemitismus, nicht erst seit der Machtübernahme der Faschisten im Jahr 1933, sondern auch schon lange vorher. All das schloß freilich nicht aus, daß er in gewissen Augenblicken sich dem Faschismus entgegenstellte.

Einen langen Streit gab es, insbesondere die protestantische Kirche sprach sich dagegen aus, die Meiserstr. umzubenennen; am Ende scheint es eine Übereinkunft gegeben zu haben: die anfangs derart gegen eine Umbenennung eingestellte evangelische Kirche schlug vor, besagte Straße nach der Frau von Martin Luther zu benennen. Und am 19.2.2008 beschloß der Stadtrat, der Straße den Namen Katharina-von-Bora-Str. zu geben, Luthers Ehefrau damit die Ehre erweisend.

Wenn Ihr mich fragt: Ich sah keine Notwendigkeit, den Namen dieser Straßen zu ändern, verschiedener Gründe wegen, und schließlich auch, weil fast alle deutschen Städte (zum Beispiel) mit einer Richard-Wagner-Str. leben müssen ...