Donnerstag, 22. Mai 2008

30 Tausend Tote: Wofür?

Vor wenigen Wochen wurde in Spanien, insbesondere in der Hauptstadt, des 200. Jahrestages der Volkserhebung in Madrid am 2.5.1808 gegen die französische Besatzung des Landes gedacht. Die Reaktion der Besatzungsmacht war äußerst hart, und an die Toten der nachfolgenden Repression erinnert dieser Obelisk:


In München gibt es auf dem Karolinenplatz einen Obelisken, der ebenfalls an "napoleonische Zeiten", und zwar an die damals gefallenen 30.000 bayrischen Soldaten, erinnert:


Aber diese bayrischen Soldaten waren nicht im Kampf gegen französische Invasoren oder Besatzer gefallen, sondern weil sie ihr König dem Kaiser Napoleon 1812 bei dessen Rußland-Feldzug mitgegeben hatte.

Dank der 9000-Euro-Spende eines Münchner Bürgers wird dieser Obelisk nun nachts angestrahlt; am 19.5.2008 wurde die Beleuchtung eingeweiht, und gestern las ich in der Süddeutschen Zeitung:

"... Die Inschrift, die [der Obelisk] trägt, ... muten zunächst verwirrend an: „Den dreyssigtausend Bayern, die im Russischen Krieg den Tod fanden. Auch sie starben für des Vaterlandes Befreyung. ...”, steht dort .... Doch als Befreiungskrieg gilt gemeinhin der Kampf gegen Napoleon, die gefallenen bayerischen Soldaten aber waren als Verbündete des französischen Kaisers in Richtung Moskau aufgebrochen.

Erst als die Grande Armée des Korsen geschlagen aus Russland zurückkehrte, wechselte Bayern gerade noch rechtzeitig die Seiten, um am Ende zu den Siegern zu gehören. ..."

Man muß dazu wissen, daß Jahre vorher der bayrische Monarch keine Solidarität mit anderen deutschen Fürsten oder mit dem, was damals Deutschland war, gezeigt, sondern sich mit Frankreich verbündet hatte, dadurch sein Reich um große Gebiete erweitern konnte und obendrein von Napoleon vom Herzog zum König erhoben wurde (was er bis 1918 blieb).

Der Artikel in der Süddeutschen Zeitung fährt fort:

"Eine Antwort auf diesen scheinbaren Widerspruch gibt Klaus Bäumler, der ehemalige Vorsitzende des Bezirksausschusses Maxvorstadt, der ... die Rede zur Einweihung der Anlage hielt. Erst durch die katastrophalen Verluste in Napoleons Russlandfeldzug habe Bayern die Kraft dazu gewonnen, sich vom französischen Kaiser zu lösen, argumentiert er. Der Tod der 30 000 Soldaten habe insofern also durchaus zur Befreiung beigetragen."

Angesichts dieser Invertierung der Realität oder deren zynischer Version fehlen die Worte ...

Dienstag, 20. Mai 2008

Die verdammte Fahne!

Kurt Tucholsky schrieb 1931: "Jeder Mensch hat eine Leber, eine Milz, eine Lunge und eine Fahne; sämtliche vier Organe sind lebenswichtig. Es soll Menschen ohne Leber, ohne Milz und mit halber Lunge geben; Menschen ohne Fahne gibt es nicht."

Daran dachte ich, als ich in der Wochenendausgabe (17.5.2008) der Süddeutschen Zeitung auf Seite 9 den Artikel "Ein Stück Stoff für eine Heldensage" las: Weil ein junger Mann, Francesc Argemí (genannt "Franki"), vor 6 Jahren angeblich dem Tuch einer spanischen Fahne auf einem Fest in Terrasa (Katalonien) Schaden zugefügt haben soll, mußte er für 3 Jahre ins Gefängnis, und ist noch dort.

Nun gut, der Verurteilte war katalonischer Nationalist, aber von denen, die ihn verurteilt haben, kann man mit gutem Grund annehmen, daß sie in nicht geringerer Intensität spanische Nationalisten waren, insbesondere solchen, die meinen, es den katalonischen Nationalisten zeigen zu müssen.

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Spanien hat noch die Fahne, die die Putschisten von 1936 dem Land auferlegten. Lebenszeichen der in dreijährigem Krieg vernichteten Republik gibt es nur sehr sparsam: so wie auf einer Ausstellung, die ich am 12.2.2008 zu besuchen die Gelegenheit hatte, in Aranda de Duero, einer Stadt, die historisch nicht gerade zu den Festen der spanischen Republik gehörten: dort war im Kulturhaus (Casa de Cultura) eine Ausstellung über Manuel Azaña zu sehen, Spaniens Präsident zum Zeitpunkt des Putsches am 18.7.1936.

Dort sieht man die Fahne der spanischen Republik:

Daß man solch eine pro-republikanische Ausstellung überhaupt in einer eher konservativen Stadt wie Aranda de Duero an zentraler Stelle des städtischen Kulturbetriebes zeigen darf, das ist nicht selbstverständlich, und zugleich weckt das Hoffnung.

Wenige Monate später war ich in Alicante; dort ist die republikanische Tradition ungleich stärker vertreten. Bei einem Rundgang durch die Stadt findet man durchaus Zeugnisse republikanischer Gesinnung:

Aber man mache sich nichts vor: Hinter diesen Plakaten stehen absolut minoritäre Gruppen; man kann sich freuen, daß es diese überhaupt noch gibt, aber sie spielen im politischen Kalkül keine Rolle. Die großen Parteien, bis hin zu Izquierda Unida (Vereinigte Linke) trauen sich derzeit nicht, die Legalität der Republik zurückzufordern.

Sonntag, 11. Mai 2008

Rückkehr aus dem Urlaub

Die Idee zu diesem Netztagebuch ("Blog") kam mir, als ich über die geeignetste Form nachdachte, die Freunde, die Familie sowie die übrigen Interessierten die Eindrücke wissen zu lassen, die ich während meines Urlaubs und im Verlauf von Reisen hatte, und die ich in den letzten Jahren auf dem Weg der E-Post mitzuteilen pflegte. Nach dem Eintritt in den Ruhestand Mitte letzten Jahres schien mir die Dichotomie Arbeit-Urlaub eh nicht mehr zutreffend, und so gelangte ich zum Schluß, daß das Netztagebuch einen Weg bilden könnte, die übrigen wissen zu lassen, was ich sehe und erlebe und denke.

Ende Januar fuhr ich für mehr als zweieinhalb Monate nach Spanien und dachte, von dann ab das Netztagebuch mit meinen Nachrichten zu füllen. Aber da mir die erforderliche Internet-Verbindung fehlte, begann mein Netztagebuch nicht vor meiner Rückkehr nach München gegen Ende April Gestalt anzunehmen.

Um nicht all das zu verlieren, was ich zwischen Ende Januar und Ende April erlebt habe, werde ich nach und nach einige sich auf diesen Zeitraum beziehende Einträge in das Netztagebuch einstellen, dabei nicht der chronologischen Ordnung folgend, sondern umgekehrt vorgehend; d.h., daß ich mit der Rückfahrt beginne.

Am 21. April um 11:09 h fahren wir mit dem Zug vom Bahnhof Alicante ab und kommen genau 10 Stunden später, um 21:09 h, in Montpellier an. Der Zug ist direkt, man braucht an der französischen Grenze nicht (der unterschiedlichen Spurweite wegen) umzusteigen, und mehr noch: er hat seinen Anfang sogar in Cartagena (ein gutes Stück südlich von Alicante).

In der Bahnhofshalle von Alicante gibt es einen Informationsstand zu den in der Region laufenden Hochgeschwindigkeitszugs-Projekten:

An dieser Stelle arbeiten zu müssen, dürfte sehr langweilig sein, denn es gibt fast niemanden, der sich an die junge Frau wendet, die es dort an ihrem Platz aushält.

Nichts gegen die existierenden Hochgeschwindigkeitszugsprojekte, aber man fragt sich, so wie auch in Deutschland, ob es nicht billiger und effektiver wäre, die Leistung bestehender Strecken zu verbessern: es tut einem z.B. die Zeit leid, die der Zug im Verlauf von absurden Rangierbewegungen verliert, um in den Hauptbahnhof von Valencia einfahren zu können.

Aber wie gesagt: der Zug kam pünktlichst in Montpellier an. Das Hotel ganz nah beim Bahnhof. Gang durch die in der Tat (obwohl es Montag war) sehr lebendige Stadt.

Eine des Fehlens exzessiven Autoverkehrs, ihrer von der Bevölkerung offensichtlich akzeptierten Straßenbahnen sowie eines interessanten Fahrradverleih-Systems wegen sehr sympathische Stadt:

Mehr zu den Leihfahrrädern:
Auf Französisch Auf Englisch

Auf einem der Plätze war eine Statue von Jean Jaurès zu sehen; klar, ich kannte ihn, der so sehr für den Frieden gekämpft hatte und der just am Vorabend des 1. Weltkrieges in Paris ermordet wurde - aber hier ... ??:

Nach dem, was ich später las, scheint sich Jean Jaurès in seinem Lande einer größeren Anerkennung zu erfreuen als die im gleichen Jahr wie er verstorbene Friedenskämpferin Bertha von Suttner in Deutschland.

Am folgenden Tag mit Hochgeschwindigkeitszug nach Lyon, anschließend mit traditionellem Zug (das mit großem Genuß erlebend) nach Genf. Sich des ausgezeichneten schweizerischen Bahnsystems bedienend nach Zürich, und nach diesem letzten Umsteigen nach München - und damit zurück zu Haus.

Samstag, 10. Mai 2008

Bücherverbrennung vor 75 Jahren

Am 10.5.1933 (und im ganzen folgenden Sommer) fanden in vielen deutschen Städten Verbrennungen derjenigen Bücher statt, die sich nicht mit der Ideologie der ein gutes Vierteljahr vorher an die Macht gekommenen Hitler-Regierung vertrugen. Man muß aber betonen, daß diese Verbrennungen nicht von einer Regierungsinstanz, sondern von der auf nationaler Ebene organisierten Studentenschaft initiiert wurden, und daß sich die Professorenschaft der Universitäten, von Ausnahmen abgesehen, dieser Aktion nicht nur nicht entgegenstellte, sondern sie unterstützte.

Ein Bibliothekar war es, der damals 29-jährige Wolfgang Herrmann, der die Liste der Autoren, deren Werke dem Feuer zu überantworten waren, zusammengestellt hatte. Diese Listen wurden im Verlauf der Jahre aktualisiert, normalerweise im Sinn einer Erweiterung.

Im Internet finden sich z.B. diese Listen:
Verzeichnis I
Verzeichnis II
Verzeichnis III

Zwei Tage später erfuhr ich von einem weiteren Versuch einer Dokumentation der verbotenen Autoren, die zu zitieren mir als notwendig erscheint: Bücherverbrennung - Exilliteratur. Dort die Liste der verbotenen Autoren sowie die Liste der verbrannten Bücher.

Dank städtischer Initiative fanden in München an zwei sehr zentralen Stellen Aktivitäten in Erinnerung an die Bücherverbrennung statt: Lesungen "verbrannter" Schriftsteller auf dem Odeonsplatz während 2 Stunden am Vormittag:

... sowie von 10 bis 23 Uhr auf dem Königsplatz:

Auf diesem Königsplatz (im Hintergrund des letzten Photos sieht man noch die ehemalige NSDAP-Parteizentrale) versammelten sich an jenem regnerischen Mittwoch um 23 Uhr 50.000 Menschen, das entsprach damals 10 % der Münchner Bevölkerung, um der Bücherverbrennung beizuwohnen.

Donnerstag, 1. Mai 2008

Maderuelo 9.3.2008: Parlamentswahlen

Am Sonntag, den 9.3.2008, fanden in ganz Spanien Parlamentswahlen statt. Nach dem Mittagessen ging ich zum im Rathaus untergebrachten Wahllokal des Dorfes (siehe die orangefarbene Anzeige):

Das war ein guter Moment, weil dann, nach dem Mittagessen, alle zu Hause bleiben und ich mich deshalb, fehlender Wähler wegen, in Ruhe mit den Wahlhelfern unterhalten konnte.

Es überraschte mich positiv, daß die drei Mitglieder der offiziellen Wahlkommission (direkt unter dem - offensichtlich unvermeidlichen - Bild des Königs), alle recht jung waren (womit ich nichts gegen meine eigene Generation gesagt haben will ...):

Ich erfuhr, daß die Wahlbeteiligung zu jenem Zeitpunkt (die Wahllokale schließen um 20:00 h) schon hoch war, und daß Langeweile (immerhin war für ca. 150Stimmberechtigte das Lokal 11 Stunden geöffnet!) nicht aufkam, Dank der Nutzung der Gelegenheit zum Austausch vieler Informationen.


Kurz vor 20:00 h, Schließung des Wahllokals, kreuzte ich erneut auf; vor mir waren schon 2 Vertreter der Öffentlichkeit eingetroffen, im Verlauf der kommenden Stunde kamen etwa 20 noch dazu, unter ihnen der Bürgermeister, zwei Gemeinderatsmitglieder und der Sekretär des Rathauses (der Sekretär vertritt in diesen superkleinen spanischen Gemeinden die Spitze der Verwaltung). So wie ich die Spanier kenne, beeindruckte mich in höchstem Maß, daß alle bis zum letzten Augenblick der Stimmenauszählung schwiegen.

Die Wahlurne zu öffnen, ist garnicht so einfach und bedarf derZusammenarbeit mehrerer derer, die den Wahltisch besetzen:

Dann geht's los: erst wird die Urne "Congreso de los Diputados" ausgezählt. Das ist die wichtigere Kammer des Parlaments, sozusagen das Unterhaus (oder der Bundestag).

Umschlag für Umschlag muß geöffnet werden, um zu sehen, welcher Zettel drinsteckt. Und die Vorsitzende der Wahlkommission beschränkt sich nicht nur darauf, die Partei zu nennen, für die die Stimme gilt, sondern zeigt den Wahlzettel den anderen:

Das Verfahren ist nämlich so, daß der Wähler sich unter den 23 Zetteln, von denen jeder einer Partei entspricht, die Partei raussucht, die ihm am meisten gefällt; den Zettel steckt er in den Umschlag, und der wandert in die Urne.

Unter den 23 Zetteln gibt es natürlich die der bekannten Parteien: Partido Popular(PP), Partido Socialista Obrero Español (PSOE), Izquierda Unida (IU). Faschistische Gruppierungen sind sogar mit 2 oder 3 Parteien (=Zetteln) vertreten. Und, man sollte es nicht für möglich halten, es tritt sogar eine "Comunión Tradicionalista Carlista" auf.- "Los Verdes" (Die Grünen) gibt es auch, wie auch der "Partido antitaurinocontra el maltrato animal" (Die Partei gegen den Stierkampf und gegen die Mißhandlung derTiere):

Diese Auszählung ist schon etwas langwierig, bis hin zu langweilig. Zumal anschließend ja noch die Auszählung der für den "Senado" (den Senat, so etwas wie das Oberhaus oder der Bundesrat) stattfindet. Für den Senat stimmt man ab, indem man auf einem großen Bogen, der die Kandidaten aller Parteien aufführt, bis zu drei Namen ankreuzt; die Auszählung dieser Senats-Stimmen erfordert entsprechend mehr Zeit:

Zum Schluß müssen alle die Zähllisten auswerten, die sie im Verlauf der Auszählung angelegt haben, indem sie die verschiedenen Werte (abgegebene Stimmen, ungültige Stimmen, Stimmen für eine Gruppierung oder für einen Kandidaten) summieren. Und anschließend ist noch zu überprüfen, ob die Ergebnisse, zu denen die Mitglieder des Wahltisches gekommen sind, übereinstimmen.- Harte Arbeit, wie man sieht:

Glücklicherweise wurde diese Übereinstimmung rasch festgestellt, und so konnte die Wahlnacht kurz bleiben.

Ergebnis: Die Stimmen für die Rechte (PP) überwogen die für die Mitte (PSOE) um ca. 15 %, keine Überraschung im ländlichen Kastilien. Erfreulich immerhin, daß es für die faschistischen Parteien keine einzige Stimme gab. Die Linke (IU) konnte sich immerhin zweier Stimmen erfreuen, und es gab sogar eine Stimme für "Los Verdes".


Na ja, wie es im nationalen Maßstab ausging, das ist wohlbekannt: die Rechte hat verloren (mit ihr die reaktionäre Mehrheit der etwa 70 spanischen Bischöfe und mit ihr wiederum der Papst).

Die Mitte hat gewonnen, es bleibt also alles so, wie es war - oder auch nicht, denn die Tendenz zum Zweiparteiensystem nach dem Muster der USA ist ja wohl nicht gerade das, was wir von einer Demokratie in dem Europa erwarten, das aufzubauen man gerade dabei ist.


Die Ergebnisse im Detail:
Maderuelo
- Spanien