5 Uhr nachmittags erfahre ich durch die Zeitung, daß um 7 Uhr eine Gedenkveranstaltung stattfindet; umso besser, daß der Platz im Stadtzentrum Münchens liegt, 20 Fahrradminuten von zu Haus, das heißt, daß ich ich mich garnicht sehr zu beeilen brauche, den Plan für den Nachmittag zu ändern und mich fertig zu machen:
In den 90er Jahren bereits (am 30.6.1994) wurden diese drei Tafeln, Fritz (Michael) Gerlich gewidmet, am Gebäude der Süddeutschen Zeitung angebracht:
Verhaftet am 9. März 1933 in München in seinem Journalisten-Büro und in Gefangenschaft, bis er am 1.Juli 1934 im Konzentrationslager Dachau erschossen wurde:
Obleich
Fritz Gerlich - siehe auch die weitere
Fritz-Gerlich-Seite! - sein ganzes Leben alles andere als der Linken zugeneigt war, er sympathisierte sogar zeitweise mit extrem rechten und antidemokratischen Tendenzen, mit Vorläufern des Nationalsozialismus, widmete er sich in den letzten Jahren der Weimarer Republik mit allen Kräften dem Kampf gegen den im Aufstieg begriffenen deutschen Faschismus.
Mit anderen zusammen kaufte er die unbedeutende Wochenzeitung
Illustrierter Sonntag, der er anschließend als Chefredakteur wieder dadurch zur Bedeutung verhalf, daß er sie zu einem Leuchtturm des Anti-Hitler-Widerstandes werden ließ. Später benannte er sie um und gab ihr den Namen
Der gerade Weg. Deutsche Zeitung für Wahrheit und Recht; hier die Ausgabe vom 24.4.1932:
Die Ausgabe vom 1.2.1933, 2 Tage nach der Machtergreifung durch Hitler:
Achtung: Alle Ausgaben von
Der gerade Weg kann man in ihrer
digitalisierten Form lesen!
Die drei oben wiedergegebenen Tafeln wurden bereits in den 90er Jahren das erste Mal am Gebäude der
Süddeutschen Zeitung angebracht. Aber der kürzlichen beinahe vollständigen Neuerrichtung dieses bedeutungstragenden Gebäudes wegen mußten sie abgenommen werden, und heute begehtman ihre erneute Anbringung an dem neugebauten Gebäude.
Cristoph Renzikowski, Journalist und Präsident des
Katholischen Bayerischen Presseclubs, das heißt dem katholischen Milieu verbunden, dient dem Ereignis als Moderator:
Dieser Bezug auf den Katholizismus überrascht nicht, wenn man berücksichtigt, daß Fritz Gerlich, zur fraglichen Zeit Nummer Eins auf den Listen, die die Todeskommandos des kurz zuvor an die Macht gelangten Faschismus mit sich führten, nachdem er mit der calvinistischen Religion aufgewachsen war, sich in den 20er Jahren zum Katholizismus hingezogen fühlte und schließlich auch zu ihm konvertierte (Motiv, dessentwegen er
Michael als zweiten Vornamen annahm).
Anschließend spricht Heribert Prantl, der der Chefredaktion der
Süddeutschen Zeitung angehört, und sagt, daß er keinen anderen deutschen Journalisten kennt, der sich mit vergleichbarem Nachdruck den Nationalsozialisten entgegengestellt hat:
Schauspiel-Studenten lesen Texte jener Jahre: sowohl solche, die die Häscher des am 30.1.1933 konstituierten Regimes verfaßt haben, als auch solche, die von deren Opfern verfasst wurden:
Christian
Ude, Münchens Oberbürgermeister, gibt zu verstehen, daß es gewiß ein großes Beispiel bildet, wie man hier der aufrechten Haltung eines konsequenten Publizisten gedenkt, gibt aber zugleich seinem Bedauern Ausdruck, daß derart lange Zeit sich die Stadt München nicht um ihre nationalsozialistische Vergangenheit gekümmert hat, ebensowenig wie die Presse:
Rudolf
Voderholzer, Bischof von Regensburg, hatte bereits der ersten Anbringung der Erinnerungstafeln beigewohnt, und nach allem, was er sagt, daß er sich inzwischen zu einem ausgesprochenen Kenner der Person Fritz Gerlich sowie seiner Gedankenwelt und Schriften entwickelt hat:
Nach einer knappen Stunde ging die Veranstaltung zu Ende, zu der sich etwa 100 Personen eingefunden hatten: